Was Blogger wollen!?

Im Rahmen meiner Hiwi-Tätigkeit an der FONK, habe ich mich in der letzten Woche mit der Frage beschäftigt, was Blogger von einem Weblog erwarten. Die Auswertung der offenen Antworten auf die Frage "Was gehört Ihrer Meinung nach zu einem typischen Weblog?", die im Rahmen der Onlineumfrage "Wie ich blogge!?" erhoben wurde, zeigte dabei erneut, dass die Ansprüche an Weblogs sehr verschieden und bisweilen vollkommen gegensätzlich ausfallen.

Neben den häufig geäußerten Wünschen nach Aktualität, Authentizität, Freiheit und Unabhängigkeit, einem ansprechenden sprachlichen Stil, korrekter Rechtschreibung, Interaktivität und einem lebhaften Dialog, Humor sowie dem Vorhandensein eines Archivs mit Kategorisierungsfunktion fielen vor allem eine Reihe von Gegensatzpaaren auf, die in jeweils ähnlicher Häufigkeit genau Gegenteiliges von Blogs erwarteten.

So gehören für die Einen vor allem Individualität und Kreativität zu einem guten Blog, für Andere hingegen zählen Übersichtlichkeit und leichte Bedienbarkeit zu den wichtigen Eigenschaften. Die Einen erwarten Subjektivität und eine „persönliche Note“, wieder Andere fordern Sachlichkeit und Objektivität. Die Einen wollen unterhalten werden und Spaß beim Lesen haben, die Anderen suchen in Blogs schnelle Informationen und Neuigkeiten. Einerseits wird der Wunsch nach der Fokussierung auf wenige Themen (bis hin zu einem Einzigen in Form eines Themenblogs) geäußert, andererseits jedoch wird eine bunte Vielfalt von Themen favorisiert. Zuletzt wird auf der einen Seite Konstanz gefordert und auf der Anderen zu mehr Abwechslung gemahnt.

Aufgrund der Deutlichkeit dieser Gegensätze arbeiten wir jetzt für die zweite Welle an einem semantischen Differenzial, anhand dessen Erwartungsprofile erstellt und nach Kriterien wie Alter und Geschlecht miteinander verglichen werden können. Wir sind auf die Ergebnisse gespannt!

Auch für meine DA waren zumindest einige Forderungen vielversprechend. So gehören für eine relativ große Zahl der Befragten auch politische Meinungsäußerungen sowie das Kommentieren des Weltgeschehens aus einer neuen (unabhängigen) Perspektive zu den Inhalten eines Blogs. Eine moderate Anzahl von Befragten sieht darüber hinaus durch Weblogs die Formierung von Gegenöffentlichkeiten und die Demokratisierung der Medienlandschaft durch Dezentralisierung von Informationen verwirklicht.
Daniel (Gast) - 20. Jun, 14:31

Interessanter Blog - bin von Hegemonie und Internet rübergelinkt und werd wohl wiederkommen

...meine Überlegung gerade ist, dass Blogs als Massenmedium verschiedene Programbereiche entwickelt haben (wie älter MM auch schon), dass es aber spannend ist, ob sich nun auch neue Bereiche entwickeln könnten, jenseits von Nachrichten, Werbung und Unterhaltung... etweder das ehemalige hoch-intime Tagebuch wird nun, durch digital ermöglichte Schattenhaftigkeit der Identität, massenmdial zur massenhaften Lesbarkeit zur Verfügung gestellt...

Aber das nur so so so so ....

lars (Gast) - 20. Jun, 15:46

Gegensätze

Interessant ist daran ja erst einmal, dass es anscheinend keine dem Bloggen inheränte Praktik gibt. Das Weblog fungiert also als ein "leerer Signifikant", d.h. ein Begriff, der mit spezifischen Praktiken erst noch gefüllt werden muss.
Ob es allerdings zu einer Differenzierung im Sinne Luhmanns kommt wie Daniel vorschlägt, weiß ich nicht. Sicher differenzieren sich verschiedene Formen.
Aber das ist ja zunächst einmal nur eine Deskription. Die Frage ist, welche Praktiken des Bloggens sich durchsetzen können. Welcher "senso comune" verbreitet sich in den Weblogs, bzw. welche Formen des Dissens sind Konsens?
Ich kann mir da durchaus vorstellen, dass diese Vorstellungen mit politischen Orientierungen korrelieren. In diesem Zusammenhang fällt mir halt auch die Diskussion im Blog von don_alphonso ein, in der es um die Beobachtbarkeit von Weblogs durch Soziologen ging (und an der auch Jan Schmidt teilgenommen hat). Dort schlossen sich ja Subjektivität und Objektivität gar nicht so sehr gegenseitig aus. Die Frage lautete eher: Wer darf objektivieren? Das Argument don_alphonsos lautet ja im Endeffekt: Wir (die Menge der Blogger) sind schneller, radikaler und vernetzter und verfügen gerade daher über eine objektivere Perspektive als die klassische Wissenschaft.
Damals musste Jan Schmidt ziemlich viel einstecken und dann auch noch für seine Position werben. Aber genau an solchen Beispielen lässt sich zeigen, wie Hegemonien der Praktiken oder Kulturen des Bloggens artikuliert werden.

Daniel (Gast) - 20. Jun, 21:45

Sätzegegend

Hinter den traditionellen Massenmedien stehen doch in der Regel mittlere bis größere Organisationen, die in Programmen umzusetzen versuchen, was ihnen das System als Code vorschreibt (...banal systemisch - das kann jetzt bestimmt auch noch in andere Theorieterme transfomiert werden..).

Ich sehe da bei Webblogs - und das ist eine Idee, die ich irgendwann mal bei Stefan M. Seydel von Rebell.TV aufgeschnappt habe - lauter kleine Organisationen, Ich-AG`s, die mit ihren Buisness- und Programmplänen versuchen sich auf dem Informations"markt" zu behaupten.

Die Beschleunigung auf der Zeitdimension (...oh oh... jetzt bewege ich mich auf für mich nur rudimentär beherrschtes Theorieterminieis...) und die vielfache Vervielfältigung in der Sachdimension (ausdifferenzierung verschiedenster Themen und Beiträgen) hat auf der Sozialdimension dann die Folge, dass Dissens in Auffassungsperspektiven zunehmen wird.

Ich frage mich, ob sich dabei aber irgend ein Muster verfestigen kann, dass es vorher so noch nicht gab...
Martin (Gast) - 22. Jun, 22:45

Ist das so?

"Interessant ist daran ja erst einmal, dass es anscheinend keine dem Bloggen inheränte Praktik gibt. Das Weblog fungiert also als ein "leerer Signifikant", d.h. ein Begriff, der mit spezifischen Praktiken erst noch gefüllt werden muss."

Kann man das so behaupten? Ist das Weblog tatsächlich leer, insofern, als das sich spezifische Praktiken erst noch herausbilden müssen? Ich hoffe, ich habe dich richtig verstanden, Lars, aber da müsste ich dann, denke ich widersprechen. Wir konnten im Rahmen der Blogger-Umfrage "Wie ich blogge?!" doch einige Praktiken identifizieren, die bereits theoretisiert worden sind, deren Struktur man durchaus als kohärent bezeichnen könnte. Und gehen wir eine Ebene über das Weblog als solches in den Gesamtzusammenhang der Blogosphäre, finden wir durchaus auch allgemein gängige Praktiken, die bereits vorhanden sind und nicht erst noch beigemengt werden müssen. Gleiches gilt z. B. für Rollendefintionen, die mit bestimmten Handlungsmustern und Handlungserwartungen gekoppelt sind. Wie gesagt, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich dich richtig verstanden habe, aber so ganz leer ist das Format "Weblog" nicht.
lars (Gast) - 21. Jun, 01:28

Sag ich doch

Verlagern wir etwa gerade unsere Diskussion aus der Socioblogie in einen anderen Blog *ernsthaftwunder*?

Mehrere kleinere Organsiationen: ja
Aber diese Kämpfe gab es ja bei den alten Medien auch schon (also Aneignung des Codes oder Durchsetzungsfähigkeit spezifischer Codes)
Die Frage welche Formen des Journalismus sich in Italien bildeten, war schon ein zentrales Thema bei Gramsci!

Zur Zeitdimension: Sie ändert sich vermutlich in zwei Richtungen:
1. Der Publikationsprozess ist einfacher und schneller - ob die Textproduktion ebenfalls schneller erfolgt, hängt glaube ich nicht notwendig von der Form "Weblog" ab.
2. Was sich auflöst, wird wahrscheinlich die leere und homogene Zeit sein, um Benjamin zu sprechen. Wie Anderson gezeigt hat, konnte sich ein solches Zeiotbewußtsein nur über bestimmte Medien-Zeit-Regulative durchsetzen: indem z.B. alle die Fiktion erleben, dass alle gleichzeitig beim Frühstück sitzen und Zeitung lesen und damit alle dieselben Informationen erhalten. Die gängige Charakterisierung von Weblogs widerspricht ja einer solchen Vorstellung von Homogenität.

lars (Gast) - 23. Jun, 00:52

@Martin

ad "leerer Signifikant": Der Begriff impliziert ja, dass er immer auch irgendwie gefüllt wird, aber nicht, dass diese "Füllung" so oder so notwendig erfolgt. Dass ein und dasselbe Verhalten auf mehreren Ebenen (in Weblogs und in der Blogosphere) beobachtbar ist, lässt auch nicht auf ein Determinismus schließen - wobei mir das Verhältnis von Weblogs und Blogosphere immer noch nicht ganz klar ist. Eure Untersuchung beobachtet natürlich verschiedene Praktiken, diese mögen auch konstitutiv für das Bloggen und für die Blogosphere konstitutiv sein, aber das könnten auch andere. Schließlich sind auch die Definitionsmerkmale des Weblogs schon immer herausgefordert.

Um ein Beispiel zu geben: Als ich im Internet meine Seite verlinkt fand, merkte ein Kommentator dort an: "Schade, dass er von seinem Blog keinen RSS-Feed anbietet :-(
d.h. dann ist es ja eigentlich gar kein Blog ;-))". Dennoch bediene ich mich der Software, folge dem Postulat der "umgedrehten Chronologie" etc.
"Blogge" ich nun, oder tu ich's nicht?

ad Kohärenz: Die ist durchaus gegeben, denn meine These ist ja, dass der Begriff "Blogosphere" in seiner Verwendung einer bestimmten Einheitlichkeit bedarf, damit er überhaupt verwendet werden kann. allerdings, dass muß man in solchen Fragen auch stets hinzufügen, dass sich Kohärenz auch einer spezifischen Beobachtungweise verdankt, die wiederum von der theoretischen Modellierung abhängt.

Also generell gesagt: Mich interessiert ja eher, wie sich auf der Ebene der Blogosphere und der Weblogs solche kohärenten Muster/Typen herausbilden.
paetzolt79 - 23. Jun, 10:08

Halbvoller Signifikant

Ich muss da Martin zustimmen, dass im Fall von Weblogs nicht mehr von einem leeren Signifikanten gesprochen werden kann. Es gibt zahlreiche prozedurale (von umgekehrter Chronologie bis hin zur Implementierung einer Blogroll) und die Adäquanz betreffende Regeln (niemand wird Beileidsbekundungen an die Trauernden bloggen), die zum Teil bewusst, zum größeren Teil aber bereits unbewusst (da im Laufe der Technikaneignung "ansozialisiert") von nahezu allen Bloggern übernommen werden.

Diese geteilten Vorstellungen und Regeln rahmen den Gebrauch von Weblogs (zusammen mit technischen Merkmalen und ebenfalls bereits bestehende Netzwerken). Insofern ist der Signifikant voll.

Andererseits befinden sich die eben genannten Regeln und Eigenschaften in einem ständigen Aushandlungsprozess und verändern sich somit laufend:
- Neue technische Features werden zunächst von einigen Innovatoren mit hohem technischen Verständnis in ihre Stand-alone-Weblogs implementiert und diffundieren dann, wenn sie eine nützliche Erweiterung der bisherigen Funktionen darstellen, in die zahlreichen Weblogplattformen und werden somit wieder Teil der "Ausgangssituation"
- Neue Verwendungsweisen, die zunächst als abweichendes Verhalten gelten, werden, wenn sie immer häufiger auftreten, selbst irgendwann zur Norm (das "Schlussmachen" übers Handys oder via Blogs könnte ein Beispiel für ein solches Verhalten in der Zukunft sein - obwohl ich es ja nicht hoffen will :-) )

Die Rahmenbedingungen sind also selbst wieder "Opfer" des Wandels. Insofern würde ich am ehesten sagen: Der signifikant ist halb voll!
lars (Gast) - 23. Jun, 12:35

Voll/Leer

Das Konzept des leeren Signifikanten beinhaltet ja, dass er nie ganz leer und nie ganz voll ist. Es ist ja immer noch ein Signifikant (Bezeichnendes), der auf ein Signifikat (Bezeichnetes) verweist. Er muss also auf etwas verweisen, um ein Signifikant zu sein. Was wäre also das, was durch den Term /Weblog/ bezeichnet wird? Web 2.0 zum Beispiel, oder Social Softeware. alles was ich sage, ist ja nur, dass bestimmte Definitionskriterien herangezogen werden, um den Term /Weblog/ zu kennzeichnen, und diese sind nicht von vorneherein klar. Also wenn ich das richtig sehe, dann sagst Du doch, dass technologische Innovation sozusagen ein trickle-down-prozess ist. Einer schreibt ein neues Programmm und dann übernehmen es irgendwie die anderen (vorausgesetzt, es erscheint ihnen nützlich).
Ich würde ja behaupten, dass Diffusion und Sozialisation sich nicht einfach irgendwie vollziehen. Wir kennen doch alle spezifische Institutionen wie etwa die A-Blogger oder ich ebenso ist es doch möglich, dass die anbieter wie Blogger oder Towday.net
technologische Veränderungen eben auch als Innovation darstellen. Die Frage ist doch genau diese: Was heißt Innovation (wie wird dieser Prozess vor- und dargestellt)? Wer bringt diese über welche Kanäle in Umlauf? Wie werden diese neuen Praktiken in Umlauf gebracht? Wer empfiehlt sie als nützlich? Und nicht zuletzt: wie werden sie angeeignet? D.h. werden z.B. die technologischen Möglichkeiten von den Usern ausgeschöpft oder entdecken sie damit auch andere Verwendungen, die damit gar nicht geplant waren? Ich denke, die Entwicklung des Internet selbst als eine Form der Diffusion und Privatisierung des ARPANET zeigt ja, dass man Tools immer auch zweckentfremden.

ad Trauerfälle:

Es gibt ein Kondolenzblog für Dr. L. Anne Clyde, die an der Universität Reykjavík die Nutzung von Weblogs durch Bibliotheken und Bibliothekare untersuchte:
http://www.iasl-slo.org/ac-01.html

Aber davon abgesehen werde ich wohl noch den ein oder anderen Eintrag zur Theorie der leeren Signifikanten verfassen müssen.

paetzolt79 - 23. Jun, 14:05

Zum Thema "Zweckentfremdung": Da hast du vollkommen Recht. Im Prozess der Technikaneignung kommt es immer wieder zu Verwendungsweisen, die so nicht von den "Erfindern" intendiert waren. Beispiele für eine derartigen Entfremdung die die gesamte Blogidee betreffen wären das Google-Bombing sowie Werbung über SPAM-Kommentare.

Zur Frage, wer neue Verwendungsweisen und Technologien in die Blogosphäre bringt: Ich gehe davon aus, dass es zumindest hilfreich ist, wenn derjenige der neue Verwendungsweisen und Technologien als erster einsetzt möglichst ein reichweitenstarkes Focalblog betreibt, damit die Chance steigt, dass andere mit dem neuen Feature in Berührung kommen. Diese Bedingung ist aber weder notwendig noch hinreichend, weil es ja auch genügt wenn jemand bei einem Blogspatziergang oder einer Googlerecherche auf ein wenig vernetztes Blog mit einem neuen Feature stößt, der selbst wiederum ein relativ reichweitenstarkes Blog besitzt und somit als Multiplikator für die Innovation dienen kann.
Generell heißt das aber, dass für eine (schnelle) Verbreitung ein Multiplikator in Form eines Focalblogs, oder aber für eine (langsamere) Diffusion zunächst eine kritische Masse an Peripherieblogs die Innovation übernehmen muss.
lars (Gast) - 24. Jun, 00:32

...kann

...zweckentfremden kann.

Eben diese Mechanismen gilt es ja zu beschreiben. Wobei mir noch nicht ganz klar ist, für wen /technologische Inniovation/ eine Rolle spielt, bzw. welche Rolle es im "everyday life" der Blogger spielt - Es wird langsam mal Zeit, dass ich Zeit finde die "Praktiken des Bloggens" Ergebnisse" durcharbeite.

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